Die verrückte Geschichte einer lebenslangen Liebe.
Ein Fußballfan und sein Verein. Der Fan heißt Nick Hornby, sein Verein Arsenal London: 'Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden...' Nick Hornby, 1957 geboren, studierte in Cambridge und arbeitete als Lehrer. Nach dem Erfolg von "Fever Pitch" konnte er sich ganz dem Schreiben widmen. Mit seinen Romanen - "Fever Pitch" und "High Fidelity" - die beide verfilmt wurden, feierte er sensationelle Erfolge. Nick Hornby lebt im Norden Londons.
Einen Auszug aus Nick Hornby's Werken könnt Ihr auf den funTana-Seiten nachlesen. Eine klasse Geschichte...vieleicht nicht von jedermann oder -frau nachvollziehbar...aber absolut authentisch.
von Nick Hornby, aus dem Roman "Fever Pitch"
gefunden im Adventskalender von www.mainz05.info
In all der Zeit, in der ich Fußballspiele besucht habe, dreiundzwanzig Spielzeiten, haben nur sieben Teams die Meisterschaft in der ersten Division gewonnen: Leeds United, Everton, Arsenal, Derby County, Nottingham Forest, Aston Villa und, überwältigende elf Mal, Liverpool. Während meiner ersten Fünf Jahre holten sich fünf verschiedene Mannschaften den Titel, deshalb erschien es mir damals, als wäre der Ligatitel etwas, das dir von Zeit zu Zeit über den Weg läuft, auch wenn du möglicherweise darauf warten musst. Aber als die Siebziger kamen und gingen, und dann die Achtziger, begann mir zu dämmern, dass Arsenal den Ligatitel vielleicht nie mehr in meinem Leben gewinnen würde. Das ist nicht so melodramatsich wie es klingt. Die Fans von Wolverhampton, die 1959 ihre dritte Meisterschaft in sechs Jahren feierten, werden kaum vorausgesehen haben, dass ihr Team einen großen Teil der nächsten dreißig Jahre in der zweiten und dritten Division verbringen würde.
Wie bei allen Fans war die überwältigende Mehrzahl der Spiele, die ich gesehen habe, Ligaspiele. Und da Arsenal meistens nach Weihnachten kein wirkliches Interesse am Ligatitel gehabt hat und auch nie kurz vor dem Abstieg stand, würde ich schätzen, dass rund die Hälfte dieser Spiele bedeutungslos waren, zumindest in dem Sinne, in dem Sportjournalisten von bedeutungslosen Spielen sprechen. Es gibt keine zerkauten Fingernägel und keine zerkauten Fingerknöchel und keine verzerrten Gesichter, dein Ohr wird nicht wund, weil es nicht fest an ein Radio gepresst wird, bei dem Versuch zu erfahren, wie es Liverpool ergeht; in Wahrheit stürzt dich das Ergebnis weder in Täler der Verzweiflung, noch lässt es dich ekstatische Anfälle haben, die dir die Augen aus dem Kopf treiben. Irgendwelche Bedeutungen, die derartige Spiele bekommen, werden ihnen eher von dir als von der Tabelle verliehen.
Und nach vielleicht zehn solchen Jahren wird die Meisterschaft etwas, woran du glaubst oder nicht glaubst, etwas wie Gott. Du räumst ein, dass es natürlich möglich ist, und du versuchst die Ansichten derer zu respektieren, die es geschafft haben, sich den Glauben zu bewahren. Etwa zwischen 1975 und 1989 hatte ich den Glauben verloren. Ich hoffte, zu Anfang einer jeden Saison, und einige Male · Mitte der Saison 86/87 zum Beispiel, als wir acht oder neun Wochen oben standen · wurde ich fast aus meiner Agnostiker-Höhle gelockt. Doch im Innersten meines Herzens wusste ich, dass es nie geschehen würde, so wie ich als kleiner Junge wusste, dass sie kein Gegenmittel gegen den Tod finden würden, bevor ich alt würde.
1989, achtzehn Jahre nachdem Arsenal zum letzten Mal den Ligatitel gewonnen hatte, erlaubte ich mir zögernd und törichterweise zu glauben, dass es tatsächlich möglich sei, dass Arsenal die Meisterschaft holen könnte. Von Januar bis Mai war die Mannschaft an der Spitze der ersten Division; drei Spieltage vor Schluss lag sie fünf Punkte vor Liverpool, das noch ein Spiel nachzuholen hatte. Zwei unserer drei Spiele waren zu Hause gegen schwächere Teams. Das andere war auswärts gegen Liverpool, ein Spiel, das die Saison beschließen würde.
Kaum war ich jedoch ein wiedergeborenes Mitglied der Kirche der Meistergläubigen der letzten Tage, als Arsenal einen katastrophalen Einbruch hatte. Wir verloren · kläglich · zu Hause gegen Derby; und im letzten Spiel in Highbury gegen Wimbledon verschenkte Arsenal zweimal die Führung und spielte gegen ein Team 2:2 unentschieden, das es am ersten Spieltag der Saison 5:1 vernichtet hatte. Nach dem Spiel gegen Derby konnte ich mich mit meiner Freundin wegen einer Tasse Tee streiten, aber nach der Partie gegen Wimbledon empfand ich nicht mal mehr Mut, nur eine erstarrte Enttäuschung. Zum ersten Mal verstand ich Frauen in Seifenopern, die in ihrer Vergangenheit von Liebesaffären zerstört worden sind und es sich selbst nicht erlauben können, sich erneut in jemand zu verlieben.
Ich hatte das alles vorher nie als eine Sache angesehen, bei der man die Wahl hat, aber jetzt hatte ich eine neue Erfahrung gemacht: ich hatte mich schutzlos ausgeliefert, wo ich doch hart und zynisch hätte bleiben können. Ich würde nicht zulassen, dass mir das noch einmal passierte, nie und nimmer, und ich war ein Narr gewesen, ich wusste das jetzt, genauso wie ich wusste, dass ich Jahre brauchen würde, mich von der schrecklichen Enttäuschung zu erholen, es fast geschafft zu haben, um dann doch noch zu versagen.
Es war noch nicht ganz vorbei. Liverpool hatte noch zwei Spiele gegen West Ham und gegen uns, beide in Anfield. Weil die zwei Teams so dicht beieinander lagen, waren die rechnerischen Möglichkeiten eigenartig verschlungen: Egal, mit wieviel Toren Unterschied Liverpool West Ham schlug, Arsenal brauchte die Hälfte dieses Torunterschiedes. Falls Liverpool 2:0 gewann, mussten wir 1:0 gewinnen und so weiter. Letztlich gewann Liverpool 5:1, was bedeutete, dass wir einen Sieg mit zwei Toren Unterschied brauchten: SELBST BETEN HILFT NICHT MEHR, ARSENAL", war die Schlagzeile auf der letzten Seite des Daily Mirror". Ich war in Anfield nicht dabei. Die Partie sollte ursprünglich früher in der Saison stattfinden, zu einer Zeit, in der ihr Ausgang nicht so entscheidend gewesen wäre, und als klar war, dass dieses Spiel die Meisterschaft entscheiden würde, war es längst ausverkauft. Am Morgen ging ich runter nach Highbury, um ein neues Mannschaftstrikot zu kaufen, einfach weil ich das Gefühl hatte, etwas unternehmen zu müssen, und auch wenn ein Trikot vor dem Fernseher zu tragen zugegebenermaßen der Mannschaft auf den ersten Blick nicht gerade eine riesige Menge Aufmunterung zu geben versprach, wusste ich, dass ich mich besser fühlen würde.
Nachmittags ging ich zur Arbeit, und mir war vor lauter Nervenanspannung unwillkürlich schlecht. Nach der Arbeit suchte ich einen Freund auf, der auch Arsenalfan ist und dessen Haus nur eine Straße von der Nordtribüne entfernt ist, um das Spiel anzusehen. Alles an dem Abend war denkwürdig, schon von dem Moment an, als die Mannschaften auf den Rasen kamen, und die Arsenalspieler hinüber zum Kop rannten und einzelne Menschen in der Menge Blumensträuße schenkten. Und als mit fortschreitender Spieldauer deutlich wurde, dass Arsenal sich nicht kampflos ergeben würde, fiel mir auf, wie genau ich die Spieler meins Teams kannte, ihre Gesichter, ihre Eigenschaften, wie sehr ich jeden von ihnen mochte. Sie waren jung, und sie hatten eine fantastische Saison gespielt, mehr kann man als Anhänger wirklich nicht verlangen.
Und plötzlich, in der letzten Minute war Thomas durch, ganz allein, mit der Chance die Meisterschaft für Arsenal zu holen. ...ich dachte, na gut, wenigstens waren wir am Ende nah dran, statt zu denken, bitte Michael, bitte hau ihn rein, bitte Gott, lass ihn treffen. Und dann schlug er einen Salto, und ich lag flach auf dem Boden, und jeder im Wohnzimmer sprang auf mich drauf. Achtzehn Jahre, in einer Sekunde weggeblasen.
Mit was ist ein Moment wie dieser zutreffend zu vergleichen? In Pete Davies ausgezeichnetem Buch über die WM 1990, All Played out, stellt er fest, dass die Spieler bisexuelle Bilder verwenden, wenn sie zu erklären versuchen, was sie fühlen, wenn sie ein Tor erzielen. ...Das Problem mit dem Orgasmus als Metapher ist in diesem Fall, dass der Orgasmus, obwohl offenkundig angenehm, vertraut ist, wiederholbar (innerhalb von ein paar Stunden, wenn du den Grünzeug gegessen hast) und vorhersehbar, besonders für einen Mann · wenn du Sex hast, weißt du sozusagen, was kommt. Vielleicht wenn ich achtzehn Jahre lang keinen Geschlechtsverkehr gehabt und die Hoffnung aufgegeben hätte, es in den nächsten achtzehn Jahren zu tun, und dann plötzlich, aus heiterem Himmel, bietet sich eine Gelegenheit ...vielleicht wäre es unter diesen Umständen möglich, den Augenblick annähernd wiederzuerleben. Auch wenn kein Zweifel besteht, dass Sex eine nettere Beschäftigung als der Besuch von Fußballspielen ist (keine 0:0- Unentschieden, keine Abseitsfalle, keine Pokalüberaschungen und dir ist warm) sind die Gefühle, die er bei üblichem Ablauf der Dinge erzeugt, einfach nicht so intensiv wie die, die das einmalige Erlebnis eines in der letzten Minute erzielten und für die Erringung der Meisterschaft entscheidenden Tores hervorruft.
Keiner der Augenblicke, die Menschen als die schönsten in ihrem Leben beschreiben, scheint mir vergleichbar zu sein. Die Geburt von Kindern muss außerordentlich bewegend sein, aber sie hat nicht das entscheidende Element der Überraschung und dauert in jedem Fall zu lange; die Erfüllung persönlicher Wünsche · Beförderungen, Ehrungen, was weiß ich - hat nicht das In-letzter-Minute-Zeitmoment und auch nicht das Element der Machtlosigkeit, die ich an jenem Abend empfand. Und was gibt es sonst, dass theoretisch diese Plötzlichkeit bieten kann? Vielleicht ein riesiger Lottogewinn, doch das Gewinnen von großen Geldsummen betrifft einen völlig anderen Teil der Psyche und hat nichts von der gemeinschaftlichen Ekstase beim Fußball.
Es gibt also buchstäblich nichts, um es zu beschreiben. Ich habe alle verfügbaren Alternativen erschöpft. Ich kann mir nichts anderes ins Gedächtnis rufen, das ich zwei Jahrzehnte lang begehrt habe (gibt es etwas anderes, das vernünftigerweise so lange begehrt werden kann?), noch kann ich mich an irgendwas erinnern, das ich mir sowohl als Junge als auch als Mann sehnlichst gewünscht habe.
Also seid bitte denen gegenüber tolerant, die einen Augenblick im Sport als ihren schönsten Augenblick überhaupt beschreiben. Uns fehlt weder die Fantasie, noch haben wir traurige, leere Leben; es ist nur so, dass das wirkliche Leben blasser, glanzloser ist und weniger Potenzial für unerwartete Raserei enthält.
Nick Hornby -- Ballfieber, die Geschichte eines Fans (Auszug).